Tuesday, 2. February 2016, Zürich

Exzellenzen, Herr Stadtrat Wolff, lieber Ronald Lauder, sehr geehrte Damen und Herren,

Im Namen des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds möchte ich Sie herzlich begrüssen. Ihr zahlreiches Erscheinen beweist die Wichtigkeit und die Aktualität des Themas, mit dem wir uns heute Abend befassen: Erlauben Sie mir, bevor ich unserem Referenten Ronald Lauder das Wort übergebe, meine eigenen Gedanken zu diesem Thema mit Ihnen zu teilen.

Sowohl die Gurlitt-Sammlung als auch die neue Kulturbotschaft des Bundes sorgen derzeit für Gesprächsstoff. Das Bewusstsein dafür, dass die Herkunft von Kunst geklärt werden muss, ist stärker denn je. Das ist eine gute Grundlage, um die vielen ungelösten Probleme anzugehen. Ich möchte Ihnen die Schwierigkeiten im Umgang mit Nazi-Raubkunst, bzw. den sogenannten NS-verfolgungsbedingten Verlusten, an einem Beispiel illustrieren:

Kürzlich erschien der mit Spannung erwartete Bericht der „Taskforce Schwabinger Kunstfund“. Meine Enttäuschung – und die vieler anderer – war gross. Während zwei Jahren hat eine internationale Expertengruppe den Münchner Teil der Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt auf ihre Provenienz hin untersucht. Auf 500 der insgesamt 1500 Werke fiel der Verdacht der Raubkunst. Knapp 1,9 Millionen Euro standen der Taskforce zur Verfügung.

Gerade mal bei elf Werken wurde die Provenienz lückenlos aufgeklärt! Und nur bei fünf Bildern bestätigte sich der Verdacht der NS-Raubkunst! Die Süddeutsche Zeitung sprach dann auch pointiert von einem „Nichtabschlussbericht“. Von verschiedener Seite wurde der Taskforce vorgeworfen, es mangle ihr an Transparenz und Kommunikation. Dies wiederum spiegelt sich im mageren Resultat wieder und zeigt die Probleme exemplarisch auf.

Als vorbildlich erachte ich hingegen den Umgang des Berner Kunstmuseums mit seinem Erbe. Es setzt das richtige Zeichen, indem es mehrfach bestätigt hat, dass es nur Werke ohne Raubkunstverdacht annehmen würde. Die anderen müssen zur weiteren Abklärung in Deutschland verbleiben.

Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz zurückblenden: 1998 wurde die sogenannte Washingtoner Erklärung von 44 Staaten, darunter auch die Schweiz, unterzeichnet. Sie ist eine rechtlich nicht bindende Übereinkunft. Die unterzeichnenden Staaten haben sich aber dazu verpflichtet, für das Auffinden und die Rückgabe von Kunstwerken zu sorgen, welche vom Nazi-Regime beschlagnahmt worden waren. Ebenso sind diese Staaten die Verpflichtung eingegangen, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um zu fairen und gerechten Lösungen zu gelangen. In den letzten Jahren hat die Washingtoner Erklärung es möglich gemacht, dass weit über 1000 Gemälde und Kunstobjekte aus etwa 20 Staaten an die Eigentümer oder ihre Erben restituiert wurden.

Doch die Washingtoner Erklärung hat auch ihre Schwächen: Denn es herrscht die Meinung vor, dass Sie nur auf Kunstwerke angewendet werden kann, die sich in staatlichen Institutionen befinden. Die Verpflichtung zur Provenienzforschung und einer allfälligen Restitution betreffen aber auch private Museen, Kunsthändler und Sammler. Dies geschieht nämlich über Verbände und Organisationen, denen sie eventuell angeschlossen sind.

Gerade in der Schweiz gibt es zahllose private Sammler und Kollektionen. Leider fehlen diesen oft die finanziellen und personellen Ressourcen, um die Herkunft ihrer Kunstwerke zu recherchieren. Dennoch möchte ich hier gerade an die privaten Besitzer von Kunstwerken in der Schweiz appellieren: Lassen Sie Ihre Stücke aktiv abklären! Auch wenn dies aufwändig und mit Kosten verbunden ist. Vor allem wenn Sie Ihre Werke eines Tages öffentlich zeigen, in eine Stiftung überführen oder auch verkaufen wollen, sind Sie gut beraten, in die Provenienzforschung zu investieren.

Doch wie verhält es sich mit öffentlichen Institutionen? Der Bund und zahlreiche Museen, in der Schweiz, aber auch weltweit, arbeiten schon seit Jahren ihre Bestände auf. Selbstverständlich begrüsse und unterstütze ich das. Mehrfach wurde Raubkunst identifiziert und restituiert. Doch es kann und es muss noch mehr getan werden!

Dass gerade die Museen mit dieser Aufgabe oft an ihre Grenzen kommen, ist mir bewusst. Doch weil es sich hier um Institutionen handelt, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, wünsche ich mir, dass auch Bund, Kantone und Gemeinden in die Pflicht genommen werden und Hand bieten. Nicht nur private Kunstbesitzer, auch öffentliche Häuser, Museen und letztendlich der Staat haben einen Ruf zu verlieren!

Sehr positiv bewerte ich in diesem Zusammenhang die aktuelle Initiative der deutschen Krupp-Stiftung: Sie plant an der Universität Bonn den ersten Lehrstuhl zur Provenienzforschung in Deutschland einzurichten. Ein solcher universitärer Lehrstuhl in der Schweiz würde uns in der Sache einen grossen Schritt voranbringen!

Immer wieder taucht der Begriff „Fluchtgut“ oder „Fluchtkunst“ auf. Was hat es damit auf sich? Dazu möchte ich nun einige Gedanken mit Ihnen teilen: Der Begriff wurde 2001 von der Bergier-Kommission eingeführt. Die Schweiz ist das einzige Land, das zwischen Flucht- und Raubkunst unterscheidet.

Als Raubkunst werden jene Kunstwerke bezeichnet, die die Nationalsozialisten von den Juden geraubt, erpresst oder enteignet haben. Ebenfalls um Raubkunst handelt es sich bei Kulturgütern, die von aus Deutschland geflohenen Juden in Deutschland zurückgelassen und dann von den Behörden beschlagnahmt wurden. In Übereinstimmung mit der Washingtoner Erklärung ist Raubkunst, die heute als NS-verfolgungsbedingte Verluste bezeichnet wird, in jedem Fall zu restituieren.

Als Fluchtkunst werden in der Schweiz, in Abgrenzung zur Raubkunst, diejenigen Kulturgüter bezeichnet, welche Flüchtlinge während des Zweiten Weltkriegs mit sich nahmen und ausserhalb der von Nazi-Deutschland kontrollierten Gebiete verkauft haben, zum Beispiel und gerade auch in der Schweiz.

Mit einem Verkauf – oft weit unter dem damaligen Marktwert – finanzierten sie beispielsweise ihre weitere Flucht oder diejenige ihrer Verwandten.

Der heutige Umgang mit Fluchtgut und Restitutionsansprüchen gestaltet sich äusserst schwierig: Grundsätzlich hält sich die Annahme, dass die Menschen auf der Flucht ihre Kunstwerke zu marktüblichen Preisen und ohne Not verkauft haben. So gehen heute viele – nicht selten zu Unrecht – davon aus, dass zwischen Käufer und Verkäufer ein faires Geschäft abgeschlossen wurde. Der heutige Besitzer fühlt sich daher häufig weder zu Recherchen, geschweige denn zu einer „fairen und gerechten Lösung“ verpflichtet.

Wie ich bereits sagte, besteht bei Raubkunst kein Zweifel an der Verpflichtung zur Restitution. Fällt allerdings der Verdacht auf ein Kunstwerk, Fluchtgut zu sein, muss die Provenienz auf jeden Fall gewissenhaft recherchiert werden. Denn es darf nicht sein, dass Begrifflichkeiten den heutigen Besitzer von der Verantwortung entbinden, seine Bilder auf ihre Herkunft hin zu prüfen.

Im vergangenen Herbst hat Isabelle Chassot, die Direktorin des Bundesamts für Kultur, erstmals öffentlich die Unterscheidung zwischen Raub- und Fluchtkunst kritisiert und sich für deren Aufhebung ausgesprochen. Die deutsche Bezeichnung «NS-verfolgungsbedingte Verluste» sei viel präziser. Und sie verlangte, dass die Provenienzforschung aktiver angegangen werde. Diese Forderung ist denn auch zum ersten Mal und ausdrücklich in der Schweizer Kulturbotschaft 2016-2020 festgehalten, die vor einigen Tagen erläutert wurde. In dieser sind die Kulturpolitik des Bundes und die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel festlegt. Ferner heisst es in der Kulturbotschaft, eine nicht einwandfreie Provenienzforschung berge ein erhebliches Risiko für den guten Ruf eines Staates. Das BAK erwartet nun, dass öffentliche, ebenso wie private Eigentümer von Kulturgütern der Provenienzforschung Priorität einräumen.
Provenienzforschung ist teuer. Deshalb stimmt mich die Bereitschaft des BAK, dafür in den nächsten vier Jahren zwei Millionen Franken bereitzustellen, sehr positiv.

Erfreulicherweise besteht mittlerweile auch ein breiter Konsens darüber, dass die Forschungsergebnisse nicht in den Archiven verschlossen bleiben dürfen. Die Zugänglichkeit der Erkenntnisse ist unerlässlich, die Ergebnisse müssen publiziert werden!

Auch ich plädiere dafür, Fluchtkunst unter dem Begriff der „NS-verfolgungsbedingten Verluste“ zu subsumieren. Gleichzeitig kann ich die Wichtigkeit der Provenienzforschung nicht genug betonen. Jeder Fall muss geprüft und die Umstände geklärt und öffentlich gemacht werden, unter denen während der NS-Herrschaft Kunstwerke den Besitzer gewechselt haben.

Auch wenn keine rechtliche Verpflichtung besteht, dann ganz sicher eine moralische. Eine moralische Pflicht, dem ehemaligen Besitzer oder seinen Nachkommen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!

„Lost Art – Lost Justice?“. „Verlorene Kunst – Verlorene Gerechtigkeit?“, das ist die Frage, die wir uns heute stellen. Die Antwort darauf ist ein entschiedenes „Nein“!

Ich übergebe das Wort nun an Ronald S. Lauder, der die Materie kennt wie kein Zweiter. Seit Jahrzehnten setzt er sich unermüdlich für Aufklärung und Gerechtigkeit bei NS-verfolgungsbedingten Verlusten ein. Er ist Kunstexperte und bedeutender Kunstsammler, Mäzen und Philanthrop, erfolgreicher Unternehmer und Präsident des New Yorker Museum of Modern Art. Von 1986 bis 1987 war Ronald Lauder Botschafter der Vereinigten Staaten in Österreich. Seit 2007 ist er Präsident des Jüdischen Weltkongresses WJC.

Mit Spannung erwarte ich seine Ausführungen. Im Anschluss daran freue ich mich, Sie zu einem Aperitif einzuladen und mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.

Doch nun, Ronald, the floor is yours.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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