Der Talmud ist das Hauptwerk der „mündlichen Lehre“, das Diskussionen jüdischer Gelehrter aus mehreren Jahrhunderten umfasst. Er bildet neben der Thora die Grundlage des Judentums.

Das Gerüst des Talmuds bildet die „Mischna“ (dt. Lernen, Wiederholung), das Basiswerk der mündlichen Lehre, welche im 2. Jh. von Rabbi Jehuda haNassi endredigiert wurde und die bis dahin nur mündlich überlieferten Gesetzesvorschriften zusammenfasst. Die Mischna besteht aus sechs „Sedarim“ (dt. Ordnungen), welche insgesamt 63 Traktate beinhalten. Sie heissen:

  1. „Sera'im“ (dt. Aussaat): Gebote, die die Landwirtschaft betreffen [11 Traktate]
  2. „Mo'ed“ (dt. Festzeiten): Fest- und Fasttage [12 Traktate]
  3. „Naschim“ (dt. Frauen): Ehe- und Familienrecht [7 Traktate]
  4. „Nesikin“ (dt. Schäden): Zivil-und Strafrecht [10 Traktate]
  5. „Kodaschim“ (dt. Heiligtümer): Tempelkult, Speisevorschriften [11 Traktate]
  6. „Tahorot“ (dt. Reinigungen): rituelle Reinheit/Unreinheit [12 Traktate]

Der Talmud besteht aus einem inneren Kern, der Mischna, und der „Gemara“ (dt. Studium, Vollendung), einer Sammlung von Diskussionen späterer Gelehrter, welche die Mischna auslegten und diskutierten. Von den 63 Mischnatraktaten hat es deren 37 mit einem Gemara- Teil. Mischna und Gemara ergeben zusammen den Talmud. Nicht selten schweifen die inhaltlichen Elemente der Gemara vom Ausgangspunkt der Mischna ab. Nebst Interpretationen und Erklärungen zum Jüdischen Gesetz (Halacha) enthält der Talmud auch zahlreiche Erzählungen und philosophische Gedanken (Agada), wobei allerlei Themen uneingeschränkt besprochen werden. Diese Wechselbeziehung von Halacha und Agada im Rahmen kritischer, aber konstruktiver Diskussionen charakterisiert das Wesen des Talmuds.

Die Diskussionen der Talmudgelehrten wurden an zwei verschiedenen Orten abgehalten und zusammengefasst: im Land Israel und in Babylonien. Dies führte zu zwei verschiedenen Werken: „Talmud Jeruschalmi“ (dt. Jerusalemer Talmud), endredigiert im 5. Jh., und „Talmud Bawli“ (dt. Babylonischer Talmud), redigiert im 6. Jh., wobei dessen Text seine Endform erst um das Jahr 800 erlangte. Der Jerusalemer Talmud, dessen Sprache fragmentarisch und - selbst für erfahrene Talmudisten - schwieriger zu verstehen ist, behandelt u.a. agrikulturelle Themen, die im Babylonischen Talmud fehlen, da die landbezogenen Gebote in ihrer praktischen Relevanz den Juden im Land Israel näher waren. In seiner halachischen Bedeutung überragt jedoch der Babylonische Talmud, der dann auch beim einfachen Ausdruck „Talmud“ oder „Gemara“ gemeint ist.

Die ersten Generationen der Talmudgelehrten werden „Amoraim“ (dt. Sprecher) genannt. Sie lebten in Israel (insbesondere in den Städten Caesarea und Tiberias) in den Jahren 220-375 und in Babylonien von ca. 200-500. Die Protokolle der Meinungen der Amoräer sind meist in hebräischer Sprache dargebracht, wie die Mischna selbst. Die späteren Gelehrten der Talmudakademien in Babylonien werden „Saboraim“ (dt. Interpreten) genannt, deren Talmudpassagen sich durch ihre aramäische Sprache auszeichnen. Die Saboräer scheinen den Hauptanteil an der Endredaktion des Talmuds gehabt zu haben. Schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurden in Südfrankreich, wo das Talmudstudium unter den Juden florierte, schwere Anklagen seitens der feindlich gesinnten nichtjüdischen Bevölkerung gegen den Talmud erhoben. Die Beschuldigungen des zum Christentum konvertierten Juden Nicholas Donin führten zur ersten öffentlichen Disputation zwischen Juden und Christen und zur ersten Talmudverbrennung in Paris 1244.

Die erste gedruckte Ausgabe des Talmuds wurde 1520 von Daniel Bomberg in Venedig herausgegeben. Drei Jahre später folgte die Erstausgabe des Talmud Jeruschalmi. Aber schon nach 30 Jahren lancierte der Vatikan, der die Erlaubnis zum Talmuddruck zuvor erteilt hatte, eine Kampagne, die zur Zerstörung des Talmuds aufrief. Darauf folgten weitere Talmudverbrennungen in Europa. Die erste zensierte Talmudausgabe, auf welche die meisten folgenden Talmudeditionen basieren sollten, erschien in Basel zwischen 1578 und 1581, wobei die Auslassung bzw. Abänderung einzelner von der christlichen Obrigkeit zensurierter Abschnitte oder Ausdrücke ins Auge sticht. Um 1870 wurde in Wilna/Litauen durch die Witwe Romm und ihre Brüder die bis heute weltweit am meisten verbreitete Talmudausgabe gedruckt (bekannt als „Schas Vilna“). Auf den 5894 Folioblättern befindet sich der Talmudtext in der Mitte, während die mittelalterlichen Kommentare Raschis und der Tossafisten den Text von beiden Seiten umranken.

Autor

Emanuel Cohn, 2009

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