Prävention

Gegen 80 Lehrkräfte besuchten am Sonntag das KZ Auschwitz als Weiterbildung. Dazu Jonathan Kreutner in einem Interview

Diesen Sonntag nahmen gegen 80 Lehrpersonen an der Reise zum Konzentrationslager Auschwitz teil. Die Reise ist Teil einer Weiterbildung für Lehrkräfte. Im Interview erklärt Jonathan Kreutner die pädagogischen und emotionalen Hintergründe.

Am Sonntag, den 6. November 2022, fand ein weiteres Mal die Weiterbildungsreise für Lehrpersonen nach Auschwitz statt. Gegen 80 Teilnehmende flogen frühmorgens von Zürich nach Kattowitz. Sie besuchten das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und das Stammlager Auschwitz. Die Reise nach Auschwitz ist der erste Teil der zweiteiligen Weiterbildung für Lehrpersonen aus der Deutschschweiz. Der zweite Teil beinhaltet eine Praxistagung der Pädagogischen Hochschule Luzern. Organisatoren sind der SIG und die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz PLJS.

Interview mit Jonathan Kreutner

Im Vorfeld haben wir uns mit dem SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner über die Weiterbildung und vor allem über die ganz persönlichen Erfahrungen und Eindrücke, die auf dieser Reise gewonnen werden, unterhalten.

Diesen Sonntag wird wieder eine Weiterbildungsreise mit Lehrkräften nach Auschwitz stattfinden. Welche Gefühle kommen da im Vorfeld auf?

Es liegt nun tatsächlich schon ein paar Jahre zurück, seit ich das letzte Mal Auschwitz besucht habe. Seit wir dieses Programm anbieten, war ich sicher schon ein halbes Dutzend Male im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Man könnte den Eindruck haben, dass das ein wenig abstumpft. Es ist aber jedes Mal eine persönliche, psychische und physische Belastung. So ist die Reise aber auch angelegt. Die Teilnehmenden sind müde, da die Reise frühmorgens beginnt. Dann der Flug, das nasskalte Novemberwetter in Polen und schliesslich sind alle den ganzen Tag auf den Beinen. Gleichzeitig erlebt man emotional sehr beklemmende Situationen. Das gilt auch für mich, jedes Mal.

Die Weiterbildungsreise konnte mehrere Jahre nicht durchgeführt werden?

Ja, leider. Wegen Corona mussten wir vier Jahre warten bis wir den Lehrkräften diese Reise wieder anbieten konnten. Uns ist sehr wichtig, dass genau dieses Angebot auch physisch wieder zur Verfügung steht. Die Eindrücke, Erfahrungen und auch die Gefühle, die man hier mitnehmen kann, können nicht digital vermittelt werden.

Wie kann man sich dieses Weiterbildungsangebot für Lehrkräfte vorstellen?

Es ist eine zweiteilige Weiterbildung. In einem ersten Teil besuchen die Lehrerinnen und Lehrer das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und das Stammlager Auschwitz – organisiert vom SIG und der Plattform der Liberalen Juden der Schweiz. Sie werden durch beide Komplexe geführt, besichtigen die Überreste und besuchen das eindrückliche und beklemmende Museum des Lagers. Sie erleben in diesem einen Tag diesen geschichtsträchtigen Ort, der für so viel Schrecken, Leid und Tod steht. Zwei Wochen später folgt in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Luzern als Nachbearbeitung eine Praxistagung statt. Dort erhalten sie pädagogische Anleitungen und Mittel, um das Erlebte den Schülerinnen und Schülern weiterzugeben.

Wie fliessen diese Erfahrungen und Hilfsmittel in den Unterricht ein?

Die Idee dieser Weiterbildung ist es, dass die Lehrerinnen und Lehrer etwas derart geschichtsträchtiges, selber erlebt und gesehen haben. Sie können später von diesen Erfahrungen und von ihren Emotionen berichten und das Thema im Unterricht nahbarer und mithilfe der pädagogischen Hilfsmittel effektiver vermitteln.

Wie sieht der Ablauf des Programms am Sonntag genau aus?

Die Lehrerinnen und Lehrer finden sich um 5 Uhr morgens am Flughafen in Zürich ein. Mit einem Charterflug geht es dann gemeinsam nach Polen, nach Kattowitz. Von dort aus geht es mit dem Bus zum Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Dort beginnt morgens eine körperlich doch anspruchsvolle Führung durch das Lager. Nach einer kurzen Verpflegung wird zum Stammlager Auschwitz gewechselt und besucht das dortige Museum. Im Verlaufe des Nachmittags dunkelt es dann auch immer weiter ein, es wird kälter. Ermüdet und erschöpft wird abends die Rückreise angetreten. Spätnachts kommt die Reisegruppe wieder in Zürich an.

Was für Rückmeldungen gibt es seitens der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bisher?

Die Leute, die das Lager noch nie gesehen haben, sind völlig erschlagen, emotional wie körperlich. Am Flughafen Kattowitz, beim Warten auf den Rückflug, sitzen die Teilnehmenden fast durchwegs stumm und für sich da. Es ist tatsächlich eine anspruchsvolle Unternehmung, vor allem beim ersten Mal aber auch für mich, der dies schon mehrmals erlebt hat. Teilnehmende, die selber Verwandte in Auschwitz verloren haben, trifft es noch härter, diese nimmt es sehr mit. Generell sind die Rückmeldung sehr eindrücklich. Die emotionale Ergriffenheit danach konnten sich viele nicht vorstellen.

Ist das Interesse für diese Weiterbildung weiterhin da?

Ja, das Interesse besteht nach wie vor. Klar, nach den Coronajahren sind wir nicht ganz auf dem Stand von vor vier Jahren. Diesen Sonntag sind aber trotzdem gegen 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dabei. Hier muss ich aber auch sagen, dass wir die Lehrkräfte nur über eigene Ausschreibungen oder über Mund-zu-Mund erreichen. Es wäre wirklich schön und wünschenswert, wenn sich die Erziehungsdirektionen der Kantone hier engagieren würden. Schulen könnten auch in Eigeninitiative und aktiv auf dieses Angebot hinweisen und ihre Lehrerinnen und Lehrer zur Teilnahme animieren.

Was muss eine Lehrerin, ein Lehrer tun, um teilnehmen zu können?

Grundsätzlich kann sich jede Lehrperson, die im pädagogischen Dienst aktiv ist, anmelden. Das Problem besteht vor allem darin, dass die meisten Lehrkräfte von ihren Schulen für diese Weiterbildung nicht subventioniert werden. Das bedeutet, dass die Lehrkräfte die Kosten tragen müssen und die beiden jüdischen Verbände SIG und PLJS zusätzlich das finanzielle Risiko tragen. Man muss sich auch bewusst sein, dass die Teilnehmenden zwei Wochenendtage dafür einsetzen und trotzdem einen finanziellen Beitrag zuzahlen müssen. Von der öffentlichen Hand gibt es hierfür meistens keine Unterstützung. Das finde ich sehr schwierig.

Was erwartet Jonathan Kreutner ganz persönlich auf dieser Reise?

Für mich sind diese Besuche von Auschwitz auch persönlich belastend. In Auschwitz wurden meine Urgrosseltern vergast. Ich besuche also gewissermassen den Friedhof mit den Gräbern meiner Vorfahren, den Ort, wo sie auf brutalste Weise ermordet wurden. Dieser familiäre Bezug zum Lager schwingt immer mit. Ich will aber betonen, bei aller Tragik und trotz der Belastungen, die eine solche Reise mit sich bringt, ist es wichtig, dass wir das machen. Es geht schliesslich um das Erinnern. Es geht darum, dass man das, was dort geschehen ist, nicht vergisst, sich daran erinnert und weitergibt. Wir dürfen hier nicht lockerlassen und vor allem dieses Erinnern an die nächste Generation vermitteln.

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