Im Unterschied etwa zu Osteuropa hat sich in der Schweiz kein jüdisches Musikschaffen herauskristallisiert, das sich von der lokalen Volksmusik inspirieren liess. Umso wertvollere Beiträge zur jüdischen Kunstmusik haben so eigenständige Komponisten wie Ernest Bloch, Ernst Levy, Rolf Liebermann, Boris Mersson und die eingewanderten Musiker Wladimir Vogel und Max Ettinger beigesteuert.

Die von der Schweiz als Anregerin geleisteten Dienste bezüglich der Verarbeitung einheimischer Volksmusik, die zur Grundlage namhafter Werke jüdischer Komponisten hätte werden können, beschränken sich auf die "Schweizer Sinfonie" (1823) von Felix Mendelssohn Bartholdy. Während die "Suite über Schweizer Volkslieder" von Rolf Liebermann (1910-1999) ebenfalls keine Synthese von nationalschweizerischem Melos und spezifisch jüdischer Musik darstellt, mögen wenigstens das "Concerto for Jazzband and Symphony Orchestra" (1954), das "Geigy Festival Concerto" für Basler Trommel und Orchester (1958), die Sinfonie "Les Echanges" für 165 Büromaschinen (1964) und weitere Werke des auch mit Opern hervorgetretenen Komponisten und Opernintendanten für jüdischen Esprit in der modernen Schweizer Musik repräsentativ sein.

Wie der Provenzale Darius Milhaud trug auch der in Genf geborene, in den USA gestorbene Ernest Bloch (1880-1959) massgeblich zur Renaissance der jüdischen Kunstmusik bei. Die zum "Jüdischen Zyklus" (1913-1933) zählenden Kompositionen "Schelomo" (Hebräische Rhapsodie), "Baal Shem" (Three Pictures from Chassidic Life), "Avodath Hakodesh" (Sacred Service) sowie die "Suite hébraïque" (1951) fanden als einzige Werke eines aus der Schweiz stammenden jüdischen Komponisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Eingang ins Weltrepertoire. Bloch verzichtete auf die Verwendung traditioneller jüdischer Musik, um aber aus deren Geist heraus eine eigene Klangwelt zu schaffen. Mit archaisierenden Harmonien und orientalisierenden Melismen versuchte er, in seiner spätromantisch-impressionistischen Tonsprache "die Verzweiflung des Predigers von Jerusalem, den Schmerz und die Unergründlichkeit des Buches Hiob, die Sinnlichkeit des Hohen Liedes" zum Ausdruck zu bringen.

Mit Ernest Bloch teilte der Basler Komponist, Pianist und Musiktheoretiker Ernst Levy (1895- 1981) die amerikanische Wahlheimat und seine Vorliebe für die Sonatenform. Der Autor von 15 Sinfonien und zahlreichen Kammermusikwerken bekannte sich in ebenfalls noch unveröffentlichten Chorwerken ("Cantor's Kaddish", "En Kelohenu") zu seinem Judentum.

Der in Biel geborene Komponist, Schriftsteller und Fernsehfilmregisseur Leo Nadelmann (1913- 1998) legte mit der "Chassidischen Suite" für Orchester (1960), der "Partita hebraica" für Streicher (1962) und mit der Lasker-Schüler-Vertonung "Mein blaues Klavier" (1968) bekenntnishafte Werke vor, die wie jene von Bloch und Levy ohne fremdes Themenmaterial auskommen.

Als experimentierfreudiger Avantgardist fiel Philipp Eichenwald (1915-2001) mit den "Suoni estremi per parlatrice e quartetto d'archi" (1961) auf. Mit seiner Verschmelzung von Jazz und E- Musik sowie als herausragender Pianist und Dirigent macht Boris Mersson (*1921) immer wieder von sich reden.

Mit Ausnahme der Buber-Vertonung "Jona ging doch nach Ninive" (Dramma-Oratorio, 1958) und "5 Lieder nach Texten von Nelly Sachs" (1966) auf jüdische Themen verzichtend, schuf Wladimir Vogel (Moskau 1896-Zürich 1984) Bleibendes mit Kompositionen für Sprechchor ("Wagadus Untergang durch die Eitelkeit", "Thyl Claes, Fils de Kolldraeger"), mit dem teilweise zwölftönigen Violinkonzert (1937), den "Vier Etüden für Orchester" sowie mit Klavier- und Kammermusik, die sich alle durch Expressivität und grossen Klangfarbenreichtum auszeichnen.

Von den ebenfalls kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in die Schweiz eingewanderten jüdischen Komponisten konnte sich weder Max Ettinger, Paul Kletzki noch Richard Rosenberg durchsetzen. Mit ihrem erfolgreichen Versuch, Klezmermusik mit sinfonischen Klängen zu verbinden, erbrachte das 1986 in Basel gegründete Ensemble "The World Quintet" (vormals "Kol Simcha") eine weltweit imitierte Pionierleistung.

Autor

Walter Labhart, 2009

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