Der Status von Kirchen und Religionsgemeinschaften ist ein zentrales Element des Schweizer Staatskirchenrechts. Jahrhundertelang war der rechtliche Status der meisten Kirchen durch die Auswirkungen der Religionskriege bestimmt, die nach der Reform ausbrachen. In vielen Kantonen wurde daraufhin der vorherrschenden Kirche der Status einer Staatskirche verliehen.

Erst mit der Französischen Revolution und aufgrund des Drucks anderer Staaten erhielten die Juden etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach und nach das Recht, sich in einigen Kantonen niederzulassen. Auf Bundesebene wurde ihnen dieses Recht 1868 zugestanden, aber erst die revidierte Verfassung von 1874 sicherte den Juden die völlige rechtliche Gleichstellung zu. Aufgrund der neuen Rechtslage war es ihnen von da an gestattet, sich zusammenzuschliessen und Religionsgemeinschaften zu bilden. Gemäss dem Schweizer Recht geschah dies durch Gründung von Vereinen.

Ihre öffentlich-rechtliche Anerkennung bezüglich Kirchenstatus hängt, wie bei allen anderen Religionsgemeinschaften, von der jeweiligen kantonalen Gesetzgebung ab. In den meisten Kantonen haben die römisch-katholische und die evangelische wie häufig auch die christkatholische Kirche den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, teilweise sogar die einer Staats- oder Kantonalkirche. Auch in den sogenannt säkularen Kantonen Genf und Neuenburg, wo es eine strenge Trennung zwischen Kirche und Staat gibt, wird diesen drei Kirchen eine besondere Stellung zugestanden.

Mit der Öffnung gegenüber religiösen Minderheiten in den letzten Jahrzehnten wurde in vielen Kantonen die Grundlagen für eine öffentliche Anerkennung der anderen Religionsgemeinschaften gelegt. Die jüdischen Gemeinschaften gehörten zu den ersten, denen dies zugutekam. Die israelitische Gemeinde Basel erhielt bereits 1972 den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, die 18 Jahre später der jüdischen Gemeinde Fribourg und ungefähr 25 Jahre später auch den jüdischen Gemeinden Bern und St.Gallen zugestanden wurde. Infolge von Verfassungsänderungen zu Beginn des neuen Jahrtausends verliehen weitere Kantone, darunter Zürich und Waadt, den jüdischen Gemeinden die öffentliche- rechtliche Anerkennung, jedoch in einer anderen Form, die ihren Status als privater Verein nicht antastete.

Zwar sind die in mehreren Kantonen anerkannten Religionen direkt in der Verfassung genannt, aber viele neuere Verfassungen bieten die Möglichkeit der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften, ohne dass eine Verfassungsänderung nötig ist. Die Voraussetzungen für diese Anerkennung sind unterschiedlich und nicht immer klar definiert. In den meisten Fällen werden folgende Anforderungen genannt:

  • Anerkennung der Schweizer Rechtsordnung • Demokratische Struktur • Finanzielle Transparenz • Dauer des Bestehens
  • Rolle innerhalb des Kantons (Gemeinnützigkeit) • Zahlenmässige Stärke • Freiheit der Mitglieder, die betreffende Religionsgemeinschaft verlassen zu können

Diese Liste zeigt, dass die öffentliche Anerkennung nicht nur ein Recht darstellt, sondern an wesentliche Voraussetzungen gebunden ist, darunter insbesondere die Anerkennung und Umsetzung der Grundsätze unseres Landes. Wenn die meisten der grossen jüdischen Gemeinden heute diesen Status besitzen, so deshalb, weil sie nicht nur diese Voraussetzungen erfüllen, sondern auch klar den Wunsch nach einer solchen öffentlichen Anerkennung geäussert haben und bereit waren, die entsprechenden Anforderungen zu erfüllen.

Die öffentlich-rechtliche Anerkennung ist zwar ein symbolisch bedeutender Akt und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichbehandlung aller religiösen Minderheiten, aber keinesfalls eine Voraussetzung für die Wahrnehmung des in Artikel 15 der Bundesverfassung festgelegen Rechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die religiöse Freiheit der anerkannten Gemeinschaften unterscheidet sich in nichts von der anderer Religionen.

Jedoch hat die öffentliche Anerkennung nicht in allen Kantonen die gleichen Auswirkungen, zum Teil werden sogar Unterschiede innerhalb der Kantone beobachtet. Die anerkannten jüdischen Gemeinden werden in mancher Hinsicht anders behandelt als die drei grossen Kirchen. Einige dieser Unterschiede ergeben sich aus dem historischen Kontext oder aus der Struktur und den Bedürfnissen. So werden Kirchensteuern zum Beispiel nur für die Kirchen vom Staat erhoben und weitergeleitet.

Die jüdischen Gemeinden kommen nicht immer in den Genuss einer finanziellen Unterstützung und sofern sie gewährt wird, fällt diese relativ bescheiden aus. Gelegentlich haben die Kirchen auf einen Teil eines Postens zugunsten der jüdischen Gemeinden verzichtet. So werden die jüdischen Gemeinden, ob mit oder ohne Anerkennung, auch weiterhin weitgehend durch die Beiträge ihrer Mitglieder und Spenden finanziert. Die öffentliche Anerkennung bietet den betroffenen Gemeinden andererseits die Möglichkeit, bestimmte öffentliche Einrichtungen zu nutzen, sowie eine Erleichterung verschiedener Aufgaben, insbesondere im seelsorgerischen Bereich.

Die öffentlich-rechtliche Anerkennung wird von den jüdischen Gemeinden im Wesentlichen als politischer Akt und als Zeichen ihrer Integration im Kanton verstanden. Auch wenn sie kaum praktische Auswirkungen hat und vor allem die Religionsfreiheit nicht von ihr abhängt, so ist die Anerkennung doch ein wichtiges Element auf dem Weg zur Gleichstellung und uneingeschränkten Akzeptanz aller religiösen Minderheiten, sofern diese sie wünschen, die Voraussetzungen erfüllen und ihren diesbezüglichen Pflichten nachkommen.

Autorin

Sabine Simkhovitch-Dreyfus, 2010

Literatur

Simkhovitch-Dreyfus, Sabine: Jüdische Gemeinschaften: Kleine Religionsgemeinschaft, Vor- oder Nachteil? Kritische Überlegungen zu den Anerkennungssystemen, ausgehend vom Beispiel der jüdischen Religionsgemeinschaften. in: Pahud de Maortanges, René (Hg.): Staatliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften: Zukunfts- oder Auslaufmodell?, Zürich - Basel - Genf 2015

Rechtlicher Hinweis: Dieses Factsheet darf gesamthaft oder auszugsweise mit dem Hinweis «SIG Factsheet» zitiert werden

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