Friday, 6. September 2019, Bern

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich freue mich sehr über Ihre Einladung und überbringe Ihnen hiermit die besten Grüsse des SIG.

Wir erleben in Europa seit einigen Jahren schon eine Zeitenwende. Religiöses verliert zunehmend seine Deutungshoheit und das Verständnis für Religionsfreiheit, insbesondere für die Sitten und Gebräuche von Minderheitsreligionen wird vermehrt in Frage gestellt. Diese Frage betrifft nicht nur uns Juden und andere Minderheitsreligionen, sondern ebenso die Mehrheitsreligion. Sie betrifft eigentlich uns alle. Wir leben in einer vermehrt säkularisierten Welt. Das ist heute eine nicht mehr wegzudiskutierende Tatsache. Religionen finden nur noch am Rande statt. In der westlichen Welt werden selbst Mehrheitsreligionen kaum mehr als für die Wertevermittlung zuständig betrachtet.

Eine Konsequenz aus der abnehmenden Religiosität in unserer Gesellschaft muss uns besonders zu denken geben: Es bildet sich nämlich schleichend ein gesellschaftspolitischer Konsens heraus, möglichst alle Menschen und ihre Kulturen, Religionen und Wertvorstellungen zu einem einheitlichen Block zu formen. Dies macht eine religiös inspirierte Wertevermittlung schwierig. Profilierte Aussagen aus religiöser Sicht interessieren immer weniger, eigenständige traditionelle Handlungsweisen und Riten werden zunehmend misstrauisch betrachtet. Das muss uns zu denken geben. Das ist eine Gefahr für die Vielfalt unserer Gesellschaft.

Diese gesellschaftliche Entwicklung geht natürlich auch nicht am Staat vorbei. Wenn für immer mehr Bürger Religion weniger wichtiger wird, kann sich natürlich auch der Staat davor nicht verschliessen. Gerade in der Schweiz mit ihren basisdemokratischen Strukturen und politischen Dauerdebatten erleben wir diese eingangs erwähnte Zeitenwende bei jeder politischen Debatte von Neuem; sei es wenn es um den Bau von Minaretten, Feiertagsdispensen an Schulen, religiöse Kleidervorschriften, Knabenbeschneidung oder rituelles Schlachten geht. Immer weniger Menschen bringen dafür Verständnis auf, immer mehr Menschen sind bereit, Rechte im religiösen Bereich in politischen Diskursen in Frage zu stellen und andere Grundrechte der Religionsfreiheit vorzuziehen. Der Staat zeigt sich bei der Haltung zu dieser Konkurrenz der Grundrechte überhaupt nicht einheitlich und standhaft. Es ist doch klar, dass das Grundrecht auf freie Religionsausübung kein absolutes Recht ist und es ständig einer Abwägung bedarf, wenn es mit der öffentlichen Ordnung oder den Grundrechten kollidiert. Ganz generell scheint sich der Staat vielen teils auch hoch kontroversen Fragen um das Verhältnis von Staat und Religion nicht zu stellen. Das müsste sich eigentlich ändern.

Fragen nach dem Verständnis der religiösen Neutralität staatlicher Tätigkeit in einer Zeit verstärkter Säkularisierung und religiöser Pluralisierung sind bitter nötig. Sie, lieber Herr Professor de Mortanges und Ihr Institut, stellen solche Fragen, das ist wichtig. Auch eine Diskussion darüber, ob dem Bund verstärkte Kompetenzen im Bereich Staat und Religionsgemeinschaften zuzuweisen sind, braucht unser Land. All diese Diskussionen müssen geführt werden. Und dazu braucht es Wissenschaftler, Forscher und kluge Köpfe, die die Grundfragen, die diesen Diskussionen zu Grunde liegen, erforschen und diese Diskussionen auch letztlich anstossen; dies zum Nutzen der Politik und der Zivilgesellschaft.

Es braucht eben Forschungsstätten wie das Institut für Religionsrecht der Universität Freiburg. Seit 40 Jahren bereichert dieses Institut einen Diskurs, der zu Ihrer Gründungszeit noch viel marginaler geführt wurde. Heute ist dieser Diskurs allgegenwärtig und wir brauchen Forscher, die ihm gewachsen sind. Wir brauchen Diskussionsplattformen wie die heutige, wo dieser Diskurs geführt werden kann. Ich weiss, dass Ihrem Institut hierzu eine bedeutende Rolle zu teil kommt. Dafür gilt es, Ihnen zu danken.

Ich wünsche Ihrem Institut, dass es weiter gedeihen soll und die Debatten, die noch kommen mögen, geistreich begleiten kann.

Ich danke Ihnen.



Diese Rede hat Herbert Winter am 6. September 2019 anlässlich der Begrüssung 40 Jahre Institut für Religionsrecht Universität Fribourg / Offene Fragen im Verhältnis von Staat und Religion in der Schweiz in Bern gehalten.

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