Monday, 4. May 2015, Luzern

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich danke Frau Professor Lenzen für die Einladung, an diesem hoch interessanten Symposium teilnehmen zu dürfen und überbringe hiermit gerne die besten Grüsse und Wünsche des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes SIG, dem Dachverband der jüdischen Gemeinden in der Schweiz.

Die Deklaration Nostra Aetate, die vor 50 Jahren vom 2. Vatikanischen Konzil erlassen wurde, setzte einen Meilenstein in den Beziehungen zwischen Juden und Christen. Sie schaffte die Grundlagen für einen dauerhaften Dialog zwischen Repräsentanten der Kirche und des jüdischen Volkes. Die heutige Tagung will dieses Ereignis würdigen und den Dialogprozess kritisch reflektieren, der seither in Gang gesetzt wurde. Das in den letzten 50 Jahren Erreichte, und es ist nicht wenig, soll anerkannt und hervorgehoben werden, gleichzeitig sollen die Aufgaben, die heute vor uns stehen, benannt und die Motivation gestärkt werden, sie auch anzupacken.

Die bis heute wichtigste Errungenschaft, die Nostra Aetate nachhaltig geschaffen hat, ist die Institutionalisierung der Beziehungen zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem jüdischen Volk, auch hier bei uns in der Schweiz. So pflegen die Leitungspersonen des SIG und der Schweizer Bischofskonferenz heute ein regelmässiges Gespräch. Gemeinsam haben diese eine permanente Dialogkommission, die JRGK, gegründet, die diese Tagung verantwortet. Nach Jahrhunderten der Ablehnung und der Verfolgung der Juden durch die Kirche hat sich in der Folge des 2. Vatikanischen Konzils eine Partnerschaft zwischen kirchlichen Repräsentanten und jüdischen Gremien etabliert, die sich weitgehend bewährt. Das ist historisch betrachtet ein Quantensprung, den auch der SIG an seiner diesjährigen Delegiertenversammlung in wenigen Tagen gebührend thematisieren wird. Man ist sich heute in vielen Fragen einig, insbesondere – und das ist für uns von nicht zu unterschätzendem Wert – wenn es um die scharfe, konsequente Ablehnung des Antisemitismus geht, die alle nachkonziliarischen Päpste betont haben, so auch kürzlich Papst Franziskus anlässlich eines Treffens mit einer Delegation der europäischen Rabbinerkonferenz.

Im Kampf gegen den Antisemitismus wissen wir heute, dass die offizielle Kirche auf unserer Seite steht. Aber auch sonst stehen Juden und Christen für gemeinsame Werte ein, die sie auch zusammen in der Gesellschaft vertreten. Gewiss, wir haben auch Meinungsverschiedenheiten, meist dann, wenn es um innerkirchlich begründete Entscheide unserer katholischen Partner geht, bei denen wir das Gefühl bekommen, dass die erstrebte Augenhöhe, auf der ein Dialog stattfinden sollte, noch nicht erreicht ist, zum Beispiel als der Vorgänger des heutigen Papstes die Wiedereinführung der alten Karfreitagsfürbitte für die Juden zuliess. Es sind dies Meinungsverschiedenheiten, Konfliktsituationen die uns schmerzen.

Doch es sind Meinungsverschiedenheiten, verschiedene Sensibilitäten, wie sie zwischen Partnern immer wieder vorkommen können. Sie lösen Verstimmungen aus, die wir aber heute im Geiste des gegenseitigen Respektes in gemeinsamen Gesprächen austragen. Sie zeigen aber auch, dass es dem Dialog ähnlich geht wie der Freiheit: Auch einem bereits erreichten Stand im partnerschaftlichen Dialog muss permanent Sorge getragen werden. Sich auf den Lorbeeren des Erreichten auszuruhen ist verboten.

Wichtiger noch als die guten Beziehungen auf der institutionellen Seite sind die Dialoge an der Basis, denn was nützen die guten Beziehungen zwischen den Experten des Dialogs, wenn sie nicht in die Breite wirken. Auch hier wurde in den letzten 50 Jahren einiges erreicht. Judentum wird heute sowohl im Religionsunterricht, als auch in der Erwachsenenbildung vermehrt vermittelt. Diese Gefäße leisten einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung des Antisemitismus in unserem Land. Eine der Voraussetzungen dafür war die stärkere Einbindung des Judentums in die Theologische Forschung und Ausbildung, so wie zum Beispiel hier in Luzern durch die Schaffung des Instituts für jüdisch-christliche Forschung, das heute zur Universität Luzern gehört. Auch an anderen theologischen Fakultäten, in Basel, Zürich, Bern und Lausanne haben jüdische Studien Einzug gehalten.

Angesichts all dieser Errungenschaften könnte man sich leicht in einer gewissen Wohlfühlzone wähnen. Dass der Antisemitismus ein Phänomen ist, das immer präsent war und ist, haben wir nie verdrängt. Aber ein existentielles Unwohlsein fühlten wir Juden in den letzten Jahrzehnten kaum. Von Bedrohungslage oder Gefährdung will ich schon gar nicht sprechen. Als die Veranstalter dieser Tagung mit ihrer Planung begonnen haben, ahnten sie wohl nicht, dass der Kontext, in dem heute diese Tagung steht, sich völlig verändert haben würde.

Durch die Ereignisse der vergangenen Monate hat sich für die Juden in Europa, so auch hier in der Schweiz, etwas geändert. Verbale und physische Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen in Europa und auch hierzulande, insbesondere die Attentate in Brüssel, Paris und in Kopenhagen, denen auch schon andere in früheren Jahren vorausgegangen waren, haben das Gefühl eines existentiellen Unwohlseins ausgelöst. Manche haben das seltsame Gefühl eines déjā-vus. All dies macht uns Sorgen, bereitet vielen Angst. Unsere Geschichte hat uns gelehrt, wachsam zu bleiben, auch wenn es uns gut geht. Angesichts weltweiter Krisen, deren Ursachen komplex sind und deren Lösung nicht von heute auf morgen auf dem Tablett präsentiert werden können, sind Minderheiten, und die jüdische erfahrungsgemäß in besonderem Maße, Verschwörungstheorien ausgesetzt und dazu geeignet, als Sündenböcke herzuhalten. Wohin das führen kann, wissen wir alle.

In dieser Konstellation gilt es, den Dialog auf allen Ebenen mehr denn je fortzuführen und zu verstärken. Institutionelle Player und zivilgesellschaftliche Organisationen sind mit der Aufgabe betraut, auf dem politischen und gesellschaftlichen Parkett dafür zu sorgen, dass die rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen für alle Minderheiten weiterhin eingehalten werden, dass alles unternommen wird, um weiterhin unsere Sicherheit zu garantieren.

Doch ohne nachhaltige Erziehung und Bildung zum gegenseitigen Respekt, ohne einen Dialog, der Menschen lehrt, Unterschiede zwischen Religionen und Kulturen als Bereicherung zu schätzen, kann der institutionelle Dialog allein auf Dauer nichts ausrichten. Deshalb ist die Arbeit von unschätzbarem Wert, die in so vielen Institutionen und Gremien geleistet wird, hier am Institut in Luzern, in den verschiedenen Dialogkommissionen und an anderen Bildungsinstitutionen und Organisationen, die den christlich-jüdischen Dialog und den interreligiösen Dialog im Allgemeinen führen und fördern. Denn nur dank und durch Wissen und Bildung kann Verständnis und Respekt gedeihen.

In diesem Sinne wünscht der SIG dieser Tagung viel Erfolg und verbindet dies gleichzeitig mit der Hoffnung, dass die Erkenntnisse dieses Symposiums weit in unserer Gesellschaft ausstrahlen mögen.

Ich danke Ihnen.

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