Tuesday, 19. May 2009,

Sehr geehrte Frau Bundesrätin, liebe Delegierte und Gäste

Chers Délégués et Invités

Wie Sie wissen, übernimmt jedes Jahr eine andere Gemeinde die Rolle als Gastgeberin unserer Delegiertenversammlung. Dass wir heute hier in Endingen zusammenkommen, ist eine spezielle Freude, handelt es sich doch um einen besonders geschichtsträchtigen Ort. „Endigen“ heisst auf jiddisch „aufhören“, doch in der Tat hat die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz hier ihren Anfang genommen. Bis zur rechtlichen Gleichstellung aller Schweizer im Jahr 1866 durften sich Juden nämlich ausschliesslich in den Surbtaler Gemeinden Endingen und Lengnau niederlassen. Wenn ich in unsere grosse Runde hier im Saal blicke, sehe ich denn auch viele Gesichter, deren Familien auf diese Ortschaften zurückgehen. Und auch wenn hier nur noch sehr wenige Juden leben, sind viele von Ihnen hier Anwesenden heute noch stolze Bürger von Endingen oder von Lengnau.

Ich möchte den heutigen Versammlungsort deshalb auch als Symbol sehen – als Symbol für den Dialog und die Werte, die uns Schweizerinnen und Schweizer über die Konfessionen hinweg verbinden.

Zugleich ist Endingen für mich Sinnbild für die Energie und die Beharrlichkeit, mit der sich die Juden über die Jahre emanzipiert und integriert haben. Jüdinnen und Juden – wenngleich eine konfessionelle Minderheit – sind ein fest etablierter Teil der Schweizer Gesellschaft geworden.

Ich halte dies für eine wichtige Errungenschaft, namentlich für uns Juden, die wir uns in der Schweiz wohl und zuhause fühlen. Doch hat auch die jüdische Gemeinschaft ihrerseits seit jeher zum kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben in der Schweiz beigetragen. Beim Aufbau der Uhrenindustrie im Jura oder der Textilindustrie in St. Gallen beispielsweise spielten die Juden eine massgebliche Rolle. Auch namhafte Warenhäuser wurden durch Juden gegründet, und der Viehhandel war während Jahrzehnten durch Juden geprägt.

Und was wäre die Unterhaltungsbranche ohne einen Charles Lewinsky, die Schweizer Fernsehkultur ohne einen Roger Schawinsky, oder last but not least die Filmindustrie ohne unseren lieben, von uns allen geschätzten Arthur Cohn? Auch eine Trägerin des höchsten politischen Amtes kam aus unserer Mitte, Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss. Sie wird morgen hier im Surbtal übrigens den Jüdischen Kulturweg eröffnen, und auch sie ist – damit schliesst sich der Bogen – Bürgerin von Endingen. Natürlich hat sich die jüdische Gemeinschaft stark verändert, seit die Juden aus Endingen in die Schweiz hinaus und insbesondere in die städtischen Ballungszentren gezogen sind. So ist in den letzten vierzig Jahren die Zahl der in der Schweiz gemäss Volkszählung registrierten Jüdinnen und Juden leicht rückläufig. Daneben gibt es eine grössere Zahl weiterer jüdischer Einwohner in diesem Land, die sich jedoch nicht als solche eintragen lassen. Zudem sind nicht alle Juden einer jüdischen Gemeinde angeschlossen, oder zumindest nicht aktiv am Gemeindeleben beteiligt. Die Zahl der im SIG zusammengeschlossenen Gemeinden sinkt ebenfalls.

Es ist aber eine Tatsache, dass auch ausserhalb der jüdischen Gemeinden das jüdische Leben in einer grossen Vielfalt blüht. Es gibt zahlreiche jüdische Kulturvereine, Jugendgruppen, Sportvereine, Wohltätigkeitsinstitutionen und anderes mehr, wo sich viele von uns aktiv einbringen.

Die jüdische Identität wird heute also nicht mehr allein über die Gemeindezugehörigkeit oder die Religionspraxis definiert, sondern zunehmend über eine Vielzahl weiterer Faktoren wie Geschichte, Kultur und Herkunft. Dies verhält sich übrigens bei den christlichen Religionsgemeinschaften ähnlich.

Unsere Lebensweisen haben sich über die Zeit verändert, und ebenso unsere Bedürfnisse. Es gibt zum Beispiel zusehends mehr gemischtreligiöse Familien, die für ihre Kinder eine Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft anstreben. Verschiedene Gemeinden haben dies erkannt und wollen diese Bedürfnisse auffangen. Die Diskussion darüber ist wichtig für die Fortentwicklung der jüdischen Gemeinschaft und sollte mit offenem Blick geführt werden. Zudem hat sich auch das Rollenverständnis der Frau gewandelt. Auch diesem Aspekt versuchen einzelne Gemeinden gerecht zu werden.

Verbunden mit diesen Entwicklungen, zeichnet sich unter den jüdischen Gemeinden ein Positionsverlust der bürgerlich-bewahrenden Mitte ab, und ebenso eine gewisse Polarisierung und Pluralisierung hin zu den liberalen und orthodoxen Flügeln. Zudem haben jüdische Gruppierungen wie Chabad, die einfach zugänglich sind, moderne Kommunikationsmittel einsetzen und Emotionen einen grossen Stellenwert einräumen, wachsenden Erfolg.

Ich möchte diese Entwicklungen nicht werten. Doch wenn unsere Gemeinden das Haus für alle Jüdinnen und Juden sein sollen – und dieser Meinung bin ich – dann müssen wir uns offen mit diesen Themen auseinandersetzen.

Was trägt hier der Schweizerische Israelitische Gemeindebund, der SIG, bei?

La Fédération suisse des communautés israélites, la FSCI, est là pour servir de lien à tous les courants qui traversent notre communauté. Par son action, elle veut faire entendre la voix de tous les juifs de Suisse. C’est dans cette perspective qu’elle situe son travail et établit ses priorités. Permettez-moi de m’arrêter un instant sur quelques exemples, pour illustrer ce que nous avons réussi à faire au cours de ces derniers mois.

Nous avons alors décidé d’insister sur la visibilité de la FSCI - des SIG – dans les débats de société et à caractère politique. Dans ce but, nous avons professionnalisé le secteur de la communication et mis l’accent sur la confrontation avec des sujets que nous considérons comme importants. En ce contexte, nous n’abordons pas seulement des questions qui nous touchent directement en tant que juifs, nous prenons aussi position sur des sujets liés aux droits humains et au droit des étrangers, au racisme et à l’intégration, ainsi que sur des problèmes de société plus généraux à caractère éthique ou social. Nous constatons avec satisfaction que nous sommes de plus en plus souvent sollicités pour participer au processus de formation des opinions. L’année dernière, par exemple, la FSCI a été invitée à prendre position dans le cadre de toute une série de consultations, et tout dernièrement sur le projet de loi concernant la médecine de la reproduction.

En ce qui concerne l’initiative contre la construction de minarets, la FSCI s’est montrée proactive en prenant position avec la Plateforme des Juifs libéraux de Suisse. Nous estimons que cette initiative viole la liberté de religion garantie par la Constitution, et qu’elle menace indéniablement la paix religieuse en Suisse. Nous prenons en même temps très au sérieux les craintes, présentes dans une partie de la population quant à la présence éventuelle de sociétés musulmanes parallèles.

Mais nous pensons qu’interdire la construction de minarets ne constitue pas une réponse appropriée à ce problème. La FSCI se fait du souci pour cette campagne à cause des débordements xénophobes qui pourraient se produire, et nous avons la ferme intention de contribuer à les déjouer.

À ce propos, j’aimerais signaler qu’au cours de cette dernière année, nous avons retrouvé un mode de collaboration constructif et qui fonctionne bien avec la Plateforme de Juifs libéraux de Suisse. Je m’en réjouis, et cela renforce indéniablement la position de la communauté juive en Suisse.

Dans le cadre du dialogue interreligieux, qui a toujours tenu très à cœur à la FSCI, je tiens à entrer plus souvent en discussion avec des représentants des communautés musulmanes. La controverse provoquée par le rapprochement de l’Église catholique à la Fraternité Saint-Pie et au négationniste Richard Williamson, qui m’a personnellement affligé, montre bien combien les relations interconfessionnelles peuvent être fragiles. C’est justement pour cela que nous devons poursuivre notre dialogue avec l’Église catholique de manière constructive, mais sur des positions claires et fermes.

Ce qui est réjouissant, c’est que les diverses initiatives prises par la FSCI nous ont permis de faire entendre notre point de vue non seulement auprès de l’Église, mais aussi au sein de la population.

Auch der Dialog mit Behörden und Parteien ist eine laufende Priorität für den SIG, sowohl bezüglich innen- als auch aussenpolitischer Themen. Leider bleibt dabei die manchmal unausgewogene Position gegenüber Israel weiterhin eines der zentralen Themen. In diesem Zusammenhang geht es oft darum, zunächst Missverständnisse auszuräumen: Der SIG ist nicht etwa das Sprachrohr der israelischen Regierung, und er nimmt grundsätzlich keine Stellung zu deren Politik. Dies schon allein deswegen, weil es unter uns Juden keine einheitliche Position zur Politik Israels gibt, ganz im Gegenteil. Trotzdem fühlen wir uns aus religiösen, historischen und kulturellen Gründen – und häufig auch, weil wir dort Familie und Freunde haben – mit dem Land und seinen Bürgern eng verbunden. Dies wird immer wieder als „doppelte Loyalität“ ausgelegt und kritisiert. Sigi Feigel hat es so zu erklären versucht: „Die Schweiz ist mein Vaterland, aber Israel ist mein Mutterland.“

In der aussenpolitischen Debatte geht es uns primär darum, dass Israels Existenzrecht nicht in Frage gestellt wird. Hier darf es kein Wenn und kein Aber geben, und hier sind sich auch alle Juden – egal welcher politischen Couleur – einig. Wir wehren uns auch dagegen, wenn an Israel strengere Massstäbe angelegt werden als an andere Staaten.

Beim Besuch Ahmadinedschads an der Durban-Folgekonferenz in Genf sah sich der SIG veranlasst, seinem Befremden zu gewissen Stellungnahmen und Auftritten der offiziellen Schweiz Ausdruck zu geben. In individuellen Gesprächen hinter den Kulissen stellen wir fest, dass unsere Interventionen dabei vermehrt auch auf Verständnis stossen, doch dies genügt uns natürlich noch nicht, und wir werden unsere Anstrengungen hier noch weiter verstärken. Im medialen Bereich ist eine gewisse Sensibilisierung eingetreten, und der SIG hat Plattformen für Interviews intensiv genutzt.

An dieser Stelle möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass wir uns natürlich auch bei unseren jüdischen und israelischen Gesprächspartnern für ein besseres Verständnis der Schweiz einsetzen.

Und wir wünschen uns, dass Kritik an der Schweiz auch von dieser Seite konstruktiv und massvoll angebracht wird.

In Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt haben leider judenfeindliche Äusserungen und Vorfälle wieder zugenommen. Gegen solche Entwicklungen, die mit legitimer Israelkritik nichts zu tun haben, wie überhaupt gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus, werden wir uns weiterhin mit Vehemenz einsetzen. Die ehrenvolle Wahl unserer Vizepräsidentin Sabine Simkhovitch-Dreyfus zur Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus sehen wir als wertvolle Anerkennung unserer Arbeit in diesem Bereich.

Sehr geehrte Damen und Herren. Wir erleben stürmische Zeiten: Intensive gesellschaftliche und politische Debatten, die Entwicklungen in Nahost, ein erschwerter interreligiöser Dialog, mitunter Auswirkungen auf und Veränderungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Dazu die Finanzund Wirtschaftskrise, die uns alle – Institutionen wie auch Individuen – trifft und uns ermahnt, die in unserer Tradition verankerte Wohltätigkeit aufrecht zu erhalten.

Gerade in solchen Zeiten erlangen Treffen wie das heutige eine besondere Bedeutung. Sie geben die Möglichkeit, Routine und festgeschriebenen Rituale aufzubrechen und übergreifende Themen offen anzugehen. Das erfreut und gibt Hoffnung.

Lassen Sie mich zusammenfassen:

Erstens steht die jüdische Gemeinschaft vor gesellschaftlichen Herausforderungen. Es gilt, sich diesen zu stellen. Wir müssen nach Mitteln und Wegen suchen, die unsere Gemeinschaft sichern und auch für Junge attraktiv erhalten. Wir sollten uns dabei untereinander nicht ausgrenzen, sondern das Verbindende suchen, in der Vielfalt die Einheit betonen.

Zweitens wird der SIG weiterhin einen aktiven Beitrag leisten – hierzu und zu allen Themen, die für uns von Relevanz sind. Einerseits wollen wir den Dialog und die Bewältigung von Herausforderungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft unterstützen. Vor allem aber wollen wir auch den Dialog – Aufklärung, Information und Positionsbezug – mit den politischen, religiösen und anderen Institutionen in der Schweiz pflegen. Auch hier geht es darum die verbindenden Elemente und Werte zu betonen, die uns in der Schweiz als Gesellschaft zusammenhalten.

Und drittens ist es mir ein persönliches Anliegen, an unsere Tradition der Zedaka, der aktiven Hilfe und Unterstützung für Menschen in Not, zu appellieren.

Damit meine ich nicht nur die Solidarität unter uns Juden, sondern unter den Menschen aller Glaubensrichtungen. Dies darf auch weiterhin kein Lippenbekenntnis sein. In der heutigen Zeit erst recht nicht.

„Mazel und Broche“, meine lieben Gäste, heisst „Glück und Segen“, und es ist der Spruch, den wir Juden auf der ganzen Welt verwenden, um uns gegenseitig bei bestimmten Anlässen alles Gute für die Zukunft zu wünschen. Nun lassen Sie mich „Mazel und Broche“ Ihnen allen zurufen! Ich wünsche mir, dass dieser heutige Anlass zu einer weiteren Festigung der guten Beziehungen unter uns allen führt.

Ein allerletztes Wort geht an unsere Frau Bundesrätin Doris Leuthard. Ihnen möchte ich, verbunden mit meinem persönlichen Dank für Ihre geschätzte Anwesenheit, eine alte Weisheit des grossen jüdischen Schriftgelehrten Rabbi Chanania widmen, der zu Beginn unserer Zeitrechnung lebte, die lautet:

„Hevé mitpalél bi-schlo’mo schel malchut, sche-ilmalé mora-à, isch et re-éhu chaijm be-là-o.

Oder: Betet für das Wohl der Regierung; denn wäre nicht die Furcht vor ihr, so würde einer den anderen lebendig verschlingen.“

Wir sollten uns immer wieder vergegenwärtigen, wie privilegiert wir alle sind, in diesem geordneten und blühenden Land zu leben.

Damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, danke ich Ihnen bestens für Ihre Aufmerksamkeit.

Herbert Winter

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